Biofabrics aus Kombucha
Wie cool wäre es, wenn unsere Klamotten in Zukunft in die direkt passende Form wachsen könnten? Ganz nach dem Motto “GROW IT YOURSELF”. Aus der Kombucha-Kultur lässt sich eine Art veganes Leder herstellen. Diese lässt sich mit wenigen, einfachen Zutaten auch in der Küche zuhause züchten und später super bearbeiten. Welche Eigenschaften hat dieses biointegrierte Material und wozu eignet es sich in unserem Alltag?
Innovation in der Textilwerkstatt
Meine Hauptmotivation mich mit diesem Thema zu beschäftigen, war der Gedanke etwas Neues und Außergewöhnliches im Textilbereich zu machen.
Bei meiner Recherche bin ich schnell auf Ledertextilobjekte aus Kombucha gestoßen. Das Getränk kannte ich bereits aus dem Bioladen um die Ecke und war direkt fasziniert.
Biointegrierte Materialien
"Die Natur wird zum Gegenstand des Designs und darüber hinaus zum aktiven Teilnehmer im Gestaltungsprozess."
Rebekka Hehn 2015
In Indien gibt es Brücken, die komplett aus Wurzeln bestehen und sich immer noch weiter verstärken. Über Generationen wurden Luftwurzeln geführt und miteinander verwoben, sodass ein Architekturobjekt entsteht.
Einem ähnlichen Prinzip unterliegt auch dieser Designer Stuhl. In einem Gewächshaus wachsen Bambustriebe in eine Stuhlform. Dabei bekommen die Triebe durch die Löcher im Alu genug Licht zum Wachsen, aber können nur in die gewünschte Form wachsen.
Bei diesem anderen Projekt werden die Techniken des 3D-Drucks mit organischen Wachstumsprozessen verknüpft. Der Pilz wächst zwischen den Strohpartikeln und hält diese wie Kleber zusammen.
Biointegrierte Materialien entstehen aus Prozessen, an denen Lebewesen und Organismen beteiligt sind.
Den Ansatz “form follows function”, den Luis Sullivan einst in der Designtheorie prägte, kennen einige oder haben bereits davon gehört. Bei Biointegrierten Materialien sprechen wir viel mehr vom Ansatz: “form follows organism”.
Zu den Materialien passen Attribute wie selbstwachsend, eigendynamisches Verhalten, sich selbst reparierend, eine vollständige Verwertung des Materials, kreislauffähig.
Dabei haben wir keine vollständige Kontrolle über den Herstellungsprozess. Überraschungen und unvorhersehbare Ereignisse und die eigen Intelligenz des Materials müssen Teil unserer Entwurfsplanung werden.
Kombucha
Kombucha? Gesprochen: Kom-buh-tscha.
Viele kennen Kombucha als probiotisches Getränk, das sich nach dem Konsum positiv auf die Darmflora auswirkt. Die gesunde Wirkung soll wohl bereits seit Jahrtausenden bekannt sein und den Ursprung aus dem asiatischen Raum haben.
Bei der Entstehung von Kombucha handelt es sich um ein Fermentations-Prozess. Bei der Gärung werden organischer Stoffe mit Hilfe von Bakterien, Pilz- oder Zellkulturen, sowie durch den Zusatz von Enzymen in Säure, Gase oder Alkohol umgewandelt. Viele Lebensmittel werden beispielsweise durch Fermentation haltbar gemacht.
Meine erste Kombucha-Kultur
“Probieren über Studieren!” – Also ging es los und ich habe mir meine erste Kultur über Kleinanzeigen für zwei Euro im Nachbarort abgeholt.
Mitgenommen habe ich dann einen Zipper-Beutel mit einer weißlich-beigen Substanz und etwas Kombucha-Flüssigkeit.
Der Feststoff wird auch SCOBY genannt. = SYMBIOTIC CULTURE OF BACTERIA AND YEASTS || Symbiotische Kultur (Zusammenschluss) aus Bakterien und Hefe.
In der Flüssigkeit, der Nährlösung, befinden sich die vielen lebenden Mikroorganismen.
Die zusätzliche Zutatenliste ist auch sehr kurz:
Wir benötigen noch Zucker und echten Tee. Absolute Empfehlungen sind Rohrohrzucker und Schwarz- oder Grüntee ohne Aromastoffe. (Wichtig: Kräuteraufgüsse funktionieren nicht.)
Wie züchten wir unseren Kombucha?
Auf Los geht´s los!
Was fehlt noch? Ein Behältnis, in dem der Kombucha ganz in Ruhe, ohne viel Bewegung ruhen kann. Zugang zu Sauerstoff, da es sich um eine aerobe Umwandlung handelt. Trotzdem eine luftdurchlässige Abdeckung, um die Kombucha-Kultur vor Verunreinigungen wie Fliegen, etc. zu schützen: beispielsweise ein Baumwolltuch. Und eine Umgebungstemperatur von 20-30°C.
Kombucha ist mesophil und bevorzugt mittlere, nicht extreme Umweltbedingungen, insbesondere bei Temperatur und Feuchtigkeit. 25°C sind perfekt!
Mit dem Ziel Textilien zu züchten und den Kombucha nicht zu verzehren, lohnt es sich noch Apfelessig hinzuzufügen. Dadurch entsteht eine saure Umgebung mit niedrigem pH-Wert, die einen Schutz vor ungewollten (Schimmel-)Pilzen gibt.
Das Rezept
Als Behältnis habe ich mittlere Euroboxen (40 x 30 x 22 cm) gewählt. Du hast ein kleineres Gefäß? Dann passe die Zutatenmengen einfach proportional an.
- 3 Liter Wasser
- 4,5 g Tee (Schwarz- oder Grüntee)
- 300 g Rohrohrzucker
- 300 ml Apfelessig
- Ansatzflüssigkeit
- 1 SCOBY
In einem Kochtopf habe ich etwas Wasser erhitzt und den Tee und Zucker hinzugefügt. Ab und zu umgerührt, bis der Zucker aufgelöst ist und dann den Tee abkühlen lassen.
Achtung! Zu hohe Temperaturen (ab 30°C +) können der Kombucha-Kultur schädigen und die Mikroorganismen töten, während kalte Temperaturen lediglich das Wachstum verlangsamen oder stoppen können.
In die Eurobox wird nun alles zusammengefügt: Wasser, gezuckerter, kalter Tee, Apfelessig, Ansatzflüssigkeit und ein SCOBY.
Die Box an einen ruhigen Ort stellen, wo sie möglichst wenig bewegt wird und mit einem Tuch abdecken.
Und nun? Geduld!
Je nachdem, wie wohl sich die Kultur fühlt kannst du bereits nach einer oder eben mehreren Wochen Veränderungen sehen: Es bildet sich eine Haut auf der Flüssigkeit.
Wie funktioniert´s?
Wenn mal einmal herauszoomt, dann geht es bei der Kombucha-Herstellung prinzipiell um die Produktion von Essigsäure durch den Fermentationsvorgang. Essigsäure ist das Endziel.
Unser Ziel, die Kahmhaut, die sich als weiterer SCOBY an der Oberfläche der Flüssigkeit bildet, ist lediglich ein Nebenprodukt.
Im Nachfolgenden eine vereinfachte Darstellung des Prozesses.
Die Kombucha-Kultur besteht unter anderem aus Hefestämmen und Essigsäurebakterien.
Die Hefen ernähren sich vom Zucker und machen daraus Kohlensäure und Alkohol.
Die Bakterien wiederum bilden aus den Stickstoffen des Tees, dem Sauerstoff und dem Alkohol verschiedene Säuren, z.B. Essigsäure und Milchsäure.
Bei diesem Prozess bildet sich an der Oberfläche eine Kahmhaut aus bakterieller Cellulose. Deren Aufgabe besteht daraus, die bestmögliche Aufnahme der Nährstoffe aus der Flüssigkeit und Sauerstoff aus der Luft zu ermöglichen. Außerdem bietet sie einen Schutz vor fremden Organismen oder vor direkter Sonneneinstrahlung. Dabei schwimmt die Kahmhaut an der Oberfläche und wächst in dicht aneinander liegenden Schichten. Die Kahmhaut aus bakterieller Cellulose hat eine dreidimensionale Nanostruktur und ist feiner als pflanzliche Cellulose.
Füttern und Wachsen
Damit nun die Kahmhaut gut wachsen kann, braucht es viel Zeit und eine wöchentliche Fütterung mit frischen Zuckertee.
Der Wachstumsprozess ist abhängig von der Kombucha-Kultur und den äußeren Einflüssen, wie Umgebungstemperatur und Ruhe.
Bei mir hat es etwa drei Wochen gedauert, bis die Kahmhaut eine Dicke von ca. 1,5 cm hatte.
Ernten und Trocknen
Ist die neue SCOBY-Haut dick genug, mindestens 1 cm, kann sie geerntet werden. Hände waschen und einfach aus dem Gefäß herausnehmen.
Manchmal lassen sich die einzelnen Schichten etwas aufblättern.
Je nach Gärprozess, kann es auch zu unterschiedlichen Dicken der Haut kommen.
Als erstes habe ich die Kombucha-Haut unter Wasser gerinst, um die braunen Hefe-Fäden zu entfernen. Dann wird die Kahmhaut noch mit etwas Spülmittel in ein Wasserbad gelegt und anschließend nochmals gerinst.
Zum Trocknen eignet sich am besten ein Holzbrett (kein Multiplex), denn dieses nimmt die Feuchtigkeit gleichmäßig auf.
Je nach Dicke, dauert das Trocknen einige Tage. Dabei ist es wichtig, das trocknende Leder täglich zu wenden. Bei meinen ca. 1,5 cm dicken SCOBY hat das Trocknen ca. eine Woche gedauert.
Nach meinen ersten Versuchen, als das Leder immer zu trocken wurde, habe ich ein Gemisch aus Bienenwachs und Kokosöl (1:1) im heißen Wasserbad geschmolzen und damit das Leder von beiden Seiten eingerieben. Dadurch konnte ich gute, flexible Lederkonsistenzen erzielen.
Kombucha-Leder!
Tipps und Tricks
- Metall schadet deiner Kultur (mit Ausnahme von rostfreiem Edelstahl). Nutze lieber Plastik- oder Holzutensilien, um die Oxidation mit der Säure zu vermeiden.
- Falls sich zu viel Kohlensäure in der Flüssigkeit bildet, ist es ratsam, diese unter dem SCOBY rauszudrücken, damit keine zu hohen Unebenheiten entstehen.
- Ich hatte versucht, die Zuckermenge bei der weiteren Fütterung zu verringern, um die Kohlensäurebildung zu minimieren.
- Zum Pausieren können die SCOBY in ein Hotel:
- Teile die SCOBY in mehrere dünnere Lagen
- entferne die Hefen (braune Fäden)
- packe alle SCOBY in ein Glasgefäß und bedecke sie komplett mit Kombucha-Flüssigkeit.
- entweder kannst du das Glas bei Zimmertemperatur, abgedeckt mit einer sauerstoffdurchlässigen Abdeckung lagern.
- oder mit festem Deckel schließen und kühl lagern. Dann brauchen die SCOBY später zur Reanimation etwas länger.
Kombucha-Leder?
Um dann mit diesem Material weiterzuarbeiten, ist es wichtig die Eigenschaften zu erkundschaften. Was macht dieses Leder denn aus?
Experimentieren
Färben
Für meine Färbeexperimente habe ich mir einen Sud aus Rotkohl gekocht und den SCOBY kurz vorm Trocknen darin eingelegt. Das Ergebnis war komplett lila gefärbtes Leder.
Aber auch einfache Tinte nimmt der Kombucha auf. Es lassen sich auch individuelle Muster herstellen, da die Farbe nicht zu sehr verläuft.
Kombucha-Leder im Alltag
Welche sinnvollen Projekte und Produkte lassen sich nun aus Kombucha-Leder herstellen?
Die auffälligste Negativ-Eigenschaft ist, dass das Leder nicht wasserresistent ist. Eine Jacke aus diesem Material würde beim Tragen die Feuchtigkeit über die Haut aufnehmen.
Warum also nicht eine mitkochende Nudelverpackung oder ähnliches? In dünnen Schichten ist das Leder transluzent und, da es sowieso als gesundheitsfördernd anerkannt ist, absolut zum Verzehr geeignet.
Die Transluzenz eignet sich auch super für einen Lampenschirm.
Als reißfestes Material lassen sich auch Schlüsselanhänger oder -Ketten daraus herstellen.
Was würdest du daraus machen?
Eine Schuhsohle für Barfuß-Sandalen? Ein Deko-Anhänger oder Schmuck? Eine Tasche? …
Produktionsprozesse neu denken - Eine Meta-Ebene
Die Natur lässt sich nicht vollständig beherrschen. Die Intelligenz des Materials muss Teil des Entwurfsprozesses werden.
> form follows material
Produktionsprozess heute:
Erst der biologische Prozess > dann der konstruktive Prozess. (getrennte Prozesse)
Erst Rohstoff > dann Verarbeitung > dann Produkt
Erst wächst ein Baum > dann fällen wir den Baum und verarbeiten den toten Organismus zu Möbeln weiter
Produktionsprozess Zukunft:
Der biologische Prozess entspricht dem konstruktiven Prozess (gemeinsamer Prozess)
Der Rohstoff wächst in die konstruierte Form
Der Kombucha wächst in die Form einer Jacke
Designerinnen und Designer gestalten in Zukunft die Lebensräume und Umweltbedingungen und das Material bildet die gewünschte Form, Funktion und Struktur. Eine Integration von Naturwissenschaften und Gestaltung.
Lebende Materialien sind die Materialien der Zukunft. Sie bauen auf ressourcenschonende Gewinnung, biologische Abbaubarkeit und damit Kreislauffähigkeit.
Sie können ein wichtiger Beitrag zur Transformation der Textilindustrie sein.
Sharing is caring
Biofarbics aus Kombucha ist für mich ein Projekt mit offenem Ende. Da der Zeitaufwand richtig groß ist und es noch so viele andere spannende Projekte gibt, wird dieses wohl erstmal ins “SCOBY”-Hotel geschickt.
Und deshalb ist eine solche Dokumentation so wichtig. Lasst uns connecten und melde dich gerne, wenn du dich austauschen oder du einen SCOBY und Ansatzflüssigkeit für Experimente zu Hause mitnehmen möchtest.
Ich werde auf jeden Fall mit Kombucha weitermachen. Vielleicht auch erstmal damit, zu experimentieren, wie ich nun den geschmackvollsten Kombucha hinbekomme. Nachdem ich davor auf das schnellstmögliche Wachstum optimiert habe, gehe ich nun auf den Geschmack und probiere mich auch mal an Zweitfermentation. Drückt mir die Daumen!
Von Caro, Juni 2022